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Die Seelen werden von der Fessel der Schuld erlöst

Der Solitude-Chor hat die Musik von Luigi Cherubini aufs Schönste wieder zum Leben erweckt. Der Komponist Luigi Cherubini, Zeitgenosse von Ludwig van Beethoven, ist zu Unrecht nahezu in Vergessenheit geraten.

Den Beweis hat der Stuttgarter Solitude-Chor zusammen mit dem Sinfonieorchester der Universität Hohenheim unter Leitung von Klaus Breuninger mit eindrucksvollen und berührenden Konzerten am Wochenende in der evangelischen Kirche in Stuttgart Steckfeld, in St. Johann in Sigmaringen und in der katholischen Kirche St. Maria in Stuttgart-Mitte erbracht. Reiche Klangfarben und eine komplexe Kompositionsstruktur machen seine Musik zu einer Herausforderung für die Interpreten; der Solitude-Chor und das Sinfonieorchester der Universität Hohenheim meisterten diese zugleich schöne und anspruchsvolle Aufgabe mit Bravour und zeigten, wie lohnend ein solche Unterfangen sein kann. Insbesondere das 1806 komponierte Credo zu acht Stimmen bescherte dem Publikum einen einmaligen akustischen Genuss.

Zwei kleinere Chöre, unterstützt jeweils nur von einem Streichquartett, stellten sich dazu in einiger Entfernung einander auf. Jeder Chor für sich schuf ein dichtes, in feinen Nuancen changierendes Klanggewebe, das sich in Interaktion mit dem anderen Ensemble zu einem ungemein dichten, filigranen Farbenstrom vereinte. Im „Credo“ umschlangen sich die Stimmen geradezu liebevoll, während die sauberen Höhen der Soprane behutsam einen gleichmäßig leuchtenden Lichtschimmer darüberlegten. Sehr ausdrucksstark gestalteten sie das „Crucifixus“. Empfindsam, fast innig, strömten hier die Zeilen, die vom Leiden am Kreuze, vom Sterben und Begräbnis Jesu erzählen. So, als wollten sie das Geschehene noch einmal extra beklagen, nahmen die Frauenstimmen dabei die von den Männern angestimmten Wendungen auf. Auch hier bestimmte ein wunderschönes, ausdrucksstarkes Leuchten das Klangbild. Jubilierende, aufsteigende Linien fassten das Glück der Auferstehung „Et resurrexit“ in Musik. Schier unendlich kleinteilig und fein ziseliert gab das „et vitam venturi saeculi“ die Freude auf die noch kommende Welt wieder. Immer prächtiger, farbenreicher und festlicher werdend bekräftigte das Amen homophon, klar und mit einer effektvollen Pause die Einheit und Geschlossenheit der Gemeinde.

Cherubinis Einfallsreichtum, Textinhalte in der Musik widerspiegeln zu können, wurde im 1816 uraufgeführten Requiem fast noch deutlicher. Das matte, tiefe Timbre der Fagottstimme im Wechsel mit dem Chorgesang vermittelte einen ergreifenden Eindruck der „Grabesruhe“, die sich nach und nach aufhellte. Vertrauensvoll erklang die Bitte „Erhöre mein Gebet“. Wunderschön wiegend, fast liedhaft, hat Cherubini das „Graduale“ angelegt, in dem vom „Gerechten“ erzählt wird, der sich „nicht vor Verleumdung“ fürchtet. Die Reinheit des Gregorianischen Chorals wählte er für das „Tractus“, in dem es um die Seelen der Gläubigen geht, die von „jeder Fessel der Schuld“ gelöst werden. Dieses „Freisein von irdischer Schwere“ vermittelte sich auf wundersame Weise wie von selbst. Einen beeindruckenden Sturm entfachten sodann Chor und Orchester mit dem „Dies Irae“. Die Posaunen, von jeher mit dem Tod assoziiert, schufen die düsterbedrohliche Stimmung, in der die vom Chor wunderbar zischend artikulierten Konsonanten und mit reichlich Zwerchfelleinsatz hervorgestoßenen Töne noch giftiger wirkten. Gewaltig! Als vom reumütigen Sünder die Rede war, wechselte der Duktus zu fast sprechgesangartigen Wendungen. Absteigende Linien schienen schließlich den Weg zum Grab weisen zu wollen, den jeder Sterbliche gehen muss. Wie Jesus die Gläubigen ins „heilige Licht“ geleiten soll wurde im Offertorium deutlich, das mitunter fast opernhafte Züge hatte.

Dramatischer das „Agnus Dei“, bei dem schleppende Synkopen die schwer auf den Schultern der Menschen lastenden Sünden spürbar machten. Nach effektvollen, stark anschwellenden Crescendi und ebenso rasch verebbenden Decrescendi mündete das Requiem in ein gleichmäßig strömendes, mildes Stimmenleuchten, bis schließlich nur noch die tiefen Bläser liegenblieben und verklangen. Ein berührender und mitreißender Konzertabend. Wie schön, dass der Solitude-Chor und Klaus Breuninger das zu Lebzeiten des Komponisten so sehr geschätzte Stück für heutige Ohren wiederentdeckt haben. Das Publikum dankte mit stehenden Ovationen. Begeistert applaudierte in Sigmaringen auch Gerlinde Kretschmann, die Frau des Mini-sterpräsidenten.

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