img_4931-waldheim-gruppenbild

Ein Leben mit dem Waldheim – Interview mit Carmen Hanle

Das Evangelische Ferienwaldheim im Lindental ist eine Institution – und das bereits seit nunmehr über 70 Jahren: Wer nicht selber dort mal als betreutes Kind war, als Küchenhelfer, Küchenschabe, „HOT“ (Hilfs-OT) oder „OT“ (Onkel & Tanten) gewirkt hat, hat entweder sein(e) Kind(er) abgegeben – oder im Freundeskreis mindestens einmal davon gehört. Oder den neuen Biergarten genossen, der seit einiger Zeit außerhalb der Freizeiten an den Wochenenden bei schönem Wetter angeboten wird.

Für viele ist das Ferienwaldheim noch in der Erinnerung verhaftet, sei es z.B. mit „Mister X“ Ausflügen im Stuttgarter Nahverkehr, Wanderungen in den rundumliegenden Wäldern, Schlammschlachten im Lindenbach, Fußballturniere, Freibadbesuche, ein Ausflug in die Wilhelma, Zwischen- wie Endfest – oder einfach auch nur stundenlanges Drehen auf der berüchtigten „Kotzorgel“. Satt wurde man, schaut man in die Analen des Waldheims, aber auch schon 1952, in denen zu lesen ist: „Dabei spielen nicht zuletzt auch die täglichen vier Mahlzeiten eine große Rolle. Viele Eltern erzählen immer wieder staunend, was ihre Sprösslinge im Lindental »gegen sonst verdrücken» können.“

Ferienbetreuung startete nach dem zweiten Weltkrieg in der Wolfbuschkirche__

Anfangs wurden die Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg in den Räumen der Wolfbuschkirche betreut, 1950 wurde der Bau des Waldheims im Lindental durch die Kirchengemeinde beschlossen. Wer allerdings bereits nach der Fertigstellung der Räumlichkeiten im Frühjahr 1951 in den 1950er wie 1960er Jahren im Waldheim der evangelischen Oswaldkirchengemeinde im Lindental war, erinnert sich an die Bezeichnung „Sommerfreizeit“ oder auch „Stadtranderholung“, an die alte Holzbaracke, als auch an die fein säuberliche Trennung der Gruppen in Jungen und Mädchen.

„Das war mit das erste, was unsere Generation als OT Ende der 1960er in der Phase der FlowerPower-Zeit ziemlich schnell abgeschafft hat!“, erinnert sich Carmen Hanle heute, die seit knapp 25 Jahren im Gesamtkirchengemeinderat der evangelischen Kirchen in Weilimdorf den Vorsitz inne hat. Sie muss es wissen: mit frischen 18 Jahren war sie 1969 das erste mal ein „OT“ im Lindental. Vor bald 50 Jahren war es auch noch normal, dass man als Kind alle vier Wochen im Waldheim verbrachte – damals noch in den ersten vier Ferienwochen. „In den 1970er Jahren wurde das geändert, da folgte der Wechsel auf die zweite bis fünfte Ferienwoche und die Aufteilung in eine jeweils zwei Wochen dauernde erste und zweite Freizeit“, erzählt Hanle. Rasch werden ihre Erinnerungen wieder wach an die Zeiten „damals“, als man in der alten Baracke als OT das Parkett noch gewischt, gewachst und am Ende gebohnert hat, man mit der Einrichtung wesentlich fürsorglicher wie bewußter umging. „Heute ersetzt man halt schnell mal Dinge, die kaputt gehen oder sind – weil sie meist nicht mehr von hoher Qualität sind. Früher hat man darauf geachtet, dass ein Stuhl oder Tisch gar nicht erst kaputt geht – oder hat ihn mühselig repariert, weil eine Neuanschaffung einfach nur teuer wurde !“ Genau deswegen wird von den OTs in der Aufbauwoche heutzutage noch viel gebastelt und repariert – dafür sind diese Tage ja auch da.

Und obwohl Carmen Hanle nur einen (wilden) Sommer `69 im Waldheim verbrachte – das Lindental-Fieber hatte sie gepackt: „Da ich anschließend eine soziale Ausbildung als Krankenschwester gemacht habe, bekam ich keinen Sozialurlaub um als OT arbeiten zu können. Also bin ich in den Folgejahren nach Dienstschluss ins Waldheim und habe mich um blaue Flecken, weisses Blut, kleine Unfälle und andere Verletzungen gekümmert“, schmunzelt Hanle. Doch auch mit der Geburt ihrer Tochter 1974 kam kein größerer Abstand zwischen sie und das Waldheim: „Sowohl meine Tochter als auch meine Enkel sind durch und durch Waldheimkinder!“ Und so war Hanle auch in den letzten 40 Jahren „immer da“ und stand immer wieder den neuen OT-Generationen für Fragen sowie mit Rat und Tat zur Seite.

__Aufbau der Mobilen Jugendarbeit in Weilimdorf begann Mitte der 1980er__

Das Virus mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten blieb – und so begann Hanle Mitte der 1980er Jahre erneut tätig zu werden: „Wir starteten die offene Jugendarbeit in Dietrich-Bonhoeffer – das ist so gesehen der Vorläufer der heutigen Mobilen Jugendarbeit in der Deidesheimer Straße“, erinnert sich Hanle. Sie musste aber nach kurzer Zeit feststellen: „Ich bin zu alt dafür!“ – und fand sich 1989 im Kirchengemeinderat der Oswaldkirche wieder. Seit 1993/94 ist sie auch die Vorsitzende des Gesamkirchengemeinderates der Kirchen Stephanus, Oswald-Wolfbusch und Dietrich-Bonhoeffer. Und so schloss sich ihr Kreis zum Waldheim im Lindental: formal ist sie durch ihre Position für alle Einrichtungen der Gesamtkirchengemeinde mit verantwortlich – und damit auch für das Waldheim im Lindental. So musste sie 1997 den Großbrand im Waldheim miterleben, arbeitete 1998 am Neubau des Waldheims mit, wie man es heute kennt. Vom „alten“ Waldheimgebäude aus 1950/51 geblieben ist letztlich nur die Waldheimküche – wenn auch hier inzwischen moderne Kochgerätschaften Einzug gehalten haben.

Als wäre alles vorgesehen gewesen, begann sie im Frühjahr 2017 auf 450-Euro-Basis als unterstützende Fachkraft für die Waldheimleitung um freie Tage wie Urlaub für diese zu ermöglichen. Als dann im Frühsommer 2018 Rebecca Gayde nach rund 15 Jahren Ferienwaldheimleitung sich beruflich neu orientierte, war guter Rat teuer – und Carmen Hanle zur Stelle: Sie übernahm kurzerhand die Gesamtleitung des Ferienwaldheim im Rahmen der ersten Freizeit, während Pfarrer Hartmut Häcker diese Aufgabe in der zweiten Freizeit übernimmt. Bei der pädagogischen Aufsicht wird sie von Jugendreferent René Böckle und Pfarrer Hartmut Häcker nachhaltig unterstützt. Und so steht sie den diesjährigen OT´s, die teils auch schon mehr als zehn Jahre Erfahrung als Betreuer haben, mit Rat und Tat zur Seite. Dabei hat sie in ihrer Jugend, um OT sein zu dürfen, nicht einmal das Hygiene-Zertifikat machen müssen. „Das kannte man damals gar nicht – und trotzdem war Sauberkeit das höchste Gebot. Und wie die erste Hilfe geht bekamen wir damals am Vorbereitungswochenende erklärt. Das wars, Du warst OT!“.

__Wer OT werden will, muss heutzutage Kurse und Programme absolvieren__

Im Laufe der letzten Jahre wuchsen die Ansprüche an die OT´s enorm: neben der Absolvierung eines ausführlichen Erste-Hilfe-Kurs und dem Hygiene-Zertifikat muss man inzwischen das Mitarbeiterschulungsprogramm der Jugendarbeit sowie das Newie-Programm des Ferienwaldheims absolvieren. „Bewundernswert, wie dennoch alle jedes Jahr wieder dabei sein wollen!“, so Hanle beim Blick über die auf dem Gelände herumwuselnden Jugendlichen. Dies insbesondere mit Blick auf die Vergütung für die Freizeitbetreuer. „Das reicht gerade für Ersatzmaßnahmen an der Kleidung, die man hier in den Tagen ruiniert!“, so OT Sven grinsend – dem Hanle nur hinzufügen konnte: „Das war vor 50 Jahren nicht anders!“. Am Ende zählt auch nicht die Vergütung, sondern vor allem leuchtende Kinderaugen und glückliche Eltern. Und wenn aus Waldheimkindern später einmal OTs werden – spätestens dann weiß man als OT, dass man alles richtig gemacht hat.

Was sich in den letzten Jahrzehnten sonst geändert hat? Hanle muss nicht lange überlegen: „Die Kinder hatten früher eine andere Erziehung. Heute sind manche respektloser und viele vor allem unruhiger! Ich denke, das liegt sehr an der Reizüberflutung, der die heutige Generation ausgesetzt ist. Auch sind es heute öfter Einzelkinder die kommen. Früher war das die Ausnahme, da tobten hier alle Geschwister gleichzeitig rum!“ Ansonsten habe sich wenig geändert: Die Kinder sind weiterhin zwischen 6 und 14 Jahre alt, statt Mittagsschlaf wie früher gibt es für die 250 bis 300 Kinder (je nach Freizeit) die Mittagsruhe. „Die Begeisterung für das Waldheim ist die gleiche wie früher!“, lacht Hanle. Neu in 2018 wird wohl letztlich das Problem des Zwischenfestes mit dem großen Feuer sein: Hitze und Trockenheit verhindern nach derzeitiger Prognose wohl das Abendspektakel am 17. August auf dem Acker gegenüber des Waldheim.

Ob sie schon mal ans aufhören gedacht habe? „I wo. Ich lass mich gerne 2019 nochmals als Kirchengemeinderat aufstellen und mache gerne den Vorsitz von Gesamt nochmal – wenn ich darf. Aber nur, wenn ich damit einen Nachfolger oder Nachfolgerin einarbeiten kann. Hier würde es mich freuen, wenn vielleicht auch einige jungen Menschen sich im kommenden Jahr bei den Wahlen aufstellen lassen. Denn irgendwann ist halt altersbedingt mal Schluss!“, sagt Hanle bestimmend – und verabschiedet sich in die Räume des Waldheims um dort ein wenig den hitzigen Sonnenstrahlen zu entkommen, die das Gelände in den Nachmittagsstunden derzeit extrem aufheizen.

__OT-Generation 2018 besonders gefordert

Durch den Weggang von Rebecca Gayde – und trotz Unterstützung durch Carmen Hanle – sind übrigens die immerhin 65 „OTs“ der ersten Freizeit, sowie die 52 Helfer der zweiten Freizeit, in diesem Jahr mehr als sonst gefordert: „Wir sind stärker in der Verantwortung als sonst“, so Sven und Ala, die zusammen mit Paul die „LTs“ (Leitende OTs) der ersten Freizeit sind. Es gab mehr eigenverantwortliche Arbeit als sonst – dies immer in Rücksprache mit den Verantwortlichen aus der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde in Weilimdorf, was auch auf die OTs und LTs der zweiten Freizeit zutrifft, die in diesem Jahr von Björn, Stephan und Kate geleitet wird. “Aber das bekommen wir schon hin. Wir OTs bilden mit den LTs ein echt gutes Team. Wir sind eben eine große bunte Gemeinschaft!”, so die OTs.

Jahr für Jahr machen sich die vielen ehrenamtlich tätigen OTs viele Gedanken, was sie für die Kinder anbieten können. Dies reicht von neuen Geländespielen über einzigartige Aktionen bis hin zur Planung, Gestaltung und Realisierung neuer Spielmöglichkeiten. Zuletzt wurde in Eigenregie die “Hügellandschaft” in das Gelände integriert. Für die Freizeiten 2018 bildeten sich einige Helfer sogar in Waldpädagogik weiter, passend zum diesjährigen Überthema “Natur”.

Besonders stolz sind die OTs auch auf die Tatsache, dass sie auch “inklusiv” arbeiten, also Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in den Ferienwaldheimtag integrieren können: “Wir haben dieses Jahr wieder ein Kind im Rollstuhl bei uns im Waldheim. Das muss man dann eben in seiner Planung berücksichtigen, aber sonst ist das eigentlich kein Problem.”, ergänzt ein OT zum Thema “Inklusion”.

Am Ende der Freizeiten werden die Jugendlichen entweder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, teils auch richtigen Urlaub machen – oder sich mit weiterem sozialen Engagement auf anderen Freizeiten einbringen. Und „nach dem Ferienwaldheim ist vor dem Ferienwaldheim“: Bereits am 28. und 29. September treffen sich die OTs zu einem sogenannten „Reflexionswochenende“. Hier werden zugleich die neuen „LT´s“ für die Freizeiten 2019 gewählt, um auch im kommenden Jahr den Kindern ein bestmöglichstes Erlebnis für die zwei Freizeiten im Lindental zu ermöglichen. Auch gehen die ehrenamtlichen Helfer davon aus, dass die Gesamtkirchengemeinde für 2019 wieder eine hauptberufliche Ferienwaldheimleitung anstellen wird. “Wir sind hier bereits am überlegen, wie wir die Stelle baldmöglichst neu besetzen können!”, so Stephanus-Kirchengemeinderat Heiner Scholz, der im Waldheimausschuss der Kirchengemeinden tätig ist.

Aktuelle Eindrücke zum Ferienwaldheim Lindental gibt’s auch im Internet unter www.fwh-lindental.de, die Webseite des Waldheim ist unter www.waldheim-lindental.de zu sehen.

Fotolegende (von oben nach unten):
1) “Wir kommen in die Zeitung!” Den Kindern der ersten Freizeit 2018 des Ferienwaldheim Lindental war dieses Fotoshooting ein Vergnügen!
2) das Waldheim-Küchenteam bei der Arbeit: aus der Ruhe bringen lässt sich hier keiner!
3) Waldheim-Freizeit im Lindental 1961 mit der “Baracke”.
4) Carmen Hanle ist seit fast 50 Jahren mit dem Waldheim im Lindental verbunden.
5) Gruppenarbeit 2018 in Farbe…
6) Gruppenarbeit 1961 in SchwarzWeiss…
7) die beliebte “Kotzorgel” auf dem Waldheimgelände
8) “Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger….” – trotz vier Mahlzeiten früher wie heute: Bitte Teller voll!
9) 1x mit dem Basketball auf den Korb werfen: 5 Minuten warten! Na also, geht doch – Geduld üben ist oberste Disziplin
10) Das Laufgruppenfoto aus 1961 könnte genauso 2018 sein – nur die Art der Kleidung macht da wohl den Unterschied.
11) v.l.n.r.: Sven, Ala und Paul leiten in diesem Jahr die erste Freizeit im Ferienwaldheim.
12) in der Aufbauwoche war neben Muskelkraft auch die motorisierte Kraft per Gabelstapler dabei, um alle durch die OTs geplanten Aktionen zu ermöglichen.

_historische Fotos: Werner Lamm, aktuelle Fotos: Hans-Martin Goede

Ähnliche Beiträge