Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDE

Tief im Wald, da steht die „Räuberburg“…

(RED) Einen Hotzenplotz hat es in den Wäldern rund um Weilimdorf bekanntlich nicht – aber eine „Räuberburg“, die jedes Kind im Stadtbezirk seit bald 80 Jahren kennt: Nach einem Bombenangriff auf die Scheinanlage im Jahr 1944 wurden im oberen Lindental die Überreste der Dischinger Burg „wiederentdeckt“ und 1950 archäologisch erfasst.

Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDEJürgen Kaiser, Mit-Vorstand in der Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte Stuttgart e.V., hat am Sonntag, 19. März 2023, im Alten Rathaus von Weilimdorf diese „alten Steine“ in einem lockeren wie unterhaltsamen Vortrag dem gebannt zuhörenden Publikum näher gebracht. Der Einladung vom Weilimdorfer Heimatkreis waren 62 Besucher gefolgt – leicht abzuzählen daran, dass alle verfügbaren Sitzplätze besetzt waren.

Und Kaiser begann mit Edeltraud John, Vorständin des Heimatkreises gleich damit, alte „Fakenews“ aus den Weg zu räumen: eine „alte“ Amphore wurde einst dem Heimatkreis für viel Geld angeboten – angeblich unversehrt aufgefunden im Wald nahe der Dischinger Burg. Kaiser enttarnte mit einem Schmunzeln das nahezu wie neu glänzende Plagiat – und zeigte an Hand alter Aufnahmen aus den 1950er Jahren, wie die Fundsachen aus dem Mittelalter aussahen: Scherben, Brocken und Kleinteile – Vasen und Töpfe mühsam zusammengesetzt mit Lücken, weil doch nicht alle Teile komplett gefunden wurden.

Dischinger Burg. Foto GOEDE
Die Dischinger Burg. © Foto Archiv weilimdorf.de

Doch was hat es nun mit der „Räuberburg tief im Wald“ von Weilimdorf auf sich, die seit 2022 zum Schutz vor unverbesserlichen Mountainbikern eingezäunt sein muss, von Grill-Entusiasten gerne mal als Steinbruch für Grillstelleneinfassungen missbraucht wird und so ein (leider) brüchiges Dasein führt?

Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDEWas den einen die „Räuberburg“ ist, ist den Archäologen und Geschichtsforschern als „Dischinger Burg“ bekannt und wurde urkundlich erstmals 1304 im Lagerbuch des Spitals von Esslingen erwähnt. Und sie hat sogar einen noch älteren Vorgänger, nur wenige hundert Meter weiter im Wald Richtung Feuerbach an der alten Steinstraße gelegen: „Die Alt Dischinger Burg“, weiß Kaiser zu erzählen. Ihre Überreste sind aber nur noch für geübte Archäologen-Augen zu sehen: „Es war eine Burg mit Palisaden aus Holz, etwa um 1080 n. Christus vom Blitz getroffen und abgebrannt. Die Wallanlage ist so zugewachsen dass selbst ich sie nur noch schwer erkennen kann.“ Da die Handelswege sich im Mittelalter aber von den alten Römerstraßen gelöst haben und neue Routen entstanden, wurde die „neue Dischinger Burg“ eben weiter nördlich – und oberhalb des Hasenbrunnen – errichtet. Diesmal aus Stein. Doch auch dieser Burg war kein langes Leben beschieden, auch wenn sie einen Turm mit rund 20 Metern Höhe und einer ziemlich starken Schildmauer auf ihrer Ostseite gehabt haben muss: „Eberhard I. der Erlauchte, Graf von Württemberg war eben nicht erlaucht, sondern ein ziemlicher Granatendickschädel“, erzählt Kaiser. Er war bekannt für die „Abzocke“ bei der Sicherung der Handelswege zwischen den freien Reichsstädten. Zum Reichstag von Speyer mit der Anklage gegen Eberhard I. erschien er nicht, was für Kaiser Heinrich VII. dann Grund genug war, gegen ihn die „Reichsacht“, eine Ächtung, zu verhängen. Den freien Reichsstädte kam dies gelegen und begannen 1311 den Reichskrieg gegen Eberhard – und eroberten Burg für Burg, so auch die Dischinger Burg vor den Toren von Weilimdorf. Nach ihrer Zerstörung geriet sie zunehmen in Vergessenheit, eine letzte Erwähnung fand sich in alten Büchern des 19. Jahrhunderts – bis eben die Fliegerbomben 1944 die Fundamente wieder freilegten.

Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDEDie Fundamente lassen vermuten, dass die Dischinger Burg ähnlich aufgebaut war wie die Stauferburg „Katzenstein“ in Dischingen – mit einem Wehrturm und einer massiven Schildmauer. „Der Eingang war aber nicht wie von vielen vermutet per Zugbrücke auf der Ostseite. Denn hierfür wurden keinerlei Fundamente gefunden“, so Kaiser. Eher dürfte der – noch dazu sehr kleine – Zugang auf der Nordwestseite gelegen haben, noch dazu so schmal und flach, dass kein Pferd hindurch gegangen sein dürfte. Das Wohnhaus hatte auch nicht viel zu bieten, zumal Fensterglas im Mittelalter eher mit Gold aufgewogen wurde, was die „Herren zu Tischingen“ eher wenig zur Verfügung hatten. „Eher herrschte im Gemäuer ganzjährig eine Raumtemperatur von um die 8°C – und die Fenster wurden mit der Haut von ungeborenen Kälbern abgedichtet. Da hatten schon die Römer bessere Heizsysteme als die Menschen im Mittelalter“, schmunzelt Kaiser.

Wie verworren die Herrschaftsverhältnisse im Mittelalter waren, zeigte Kaiser an Hand von einer ziemlich vollen Übersicht, die Einblick in die Familienstammbäume der damals herrschenden Welten und Staufer gab. Für Weilimdorf übrigens letztlich entscheidend war Judith von Flandern (um 1030 bis 1094, die Urgroßmutter von Friedrich Barbarossa), verheiratet mit dem Grafen von Northumbria aus England und auch mit dem schwäbischen Herzog Welf, die ein Faible für den Heiligen Oswald hatte – was letztlich den Namen für die Oswaldkirchen in der Region begründet – und in Weilimdorf. Ein wenig Weltgeschichte mitten im Herzen von Weilimdorf!

Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDEUnd wie nun der Hörnleshas zum Symbol von Weilimdorf wurde, konnte Jürgen Kaiser auch noch klären: Die Herren von „Tischingen“ waren nach Zerstörung ihrer Burg in viele Richtungen zerstreut, ein Familienzweig zeigte sich aber bei den Pfalzgrafen von Tübingen – und deren Wappen und Helme wandelten sich mit der Zeit – samt einem Zweispitz etwa im 16. Jahrhundert. Diesen kann man als Hörner auf dem Helm interpretieren und sehen aus wie Hasenohren – der „Hörnleshas“ war geboren.

Vortrag "Räuberburg" zu Weilimdorf. Foto GOEDEMit all den vielen Informationen frisch versorgt, entließen Kaiser und John das Publikum. Angesichts der überwältigenden Zuschauerzahl ist aber davon auszugehen, dass dieser Vortrag in Bälde wiederholt wird. Denn auch der Vortrag zur Scheinanlage im zweiten Weltkrieg war im Winter schon so gut besucht, dass dieser am 23. April in Weilimdorf nochmals wiederholt wird.

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