(PB) Gut gefüllt präsentierte sich der Johannes-Saal im Dietrich-Bonhoeffer Gemeindezentrum in der Wormser Straße: Etwas mehr als 100 Interessierte waren der Einladung der Weilimdorfer Initiative gefolgt — an einem geschichtsträchtigen Datum, dem 8. Mai 2024, 79 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, und wenige Wochen vor der Europawahl am 9. Juni.
Das Thema des Abends orientierte sich an den Schlüsselwörtern der organisationsübergreifenden Initiative und lautete dementsprechend: „Wie können Demokratie und Zusammenhalt in Europa gestärkt werden?“ Fünf Parteien-Vertreter*innen waren aufgerufen, diese Frage zu beantworten:
- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oliver Hildenbrand, Landtagsabgeordneter für den Stuttgarter Norden
- CDU: Suzana Lipovac, Bezirksbeirätin Weilimdorf
- Die Linke: Reinhard Neudorfer, Kandidat fürs Europaparlament
- FDP: Ralf Böpple, stv. Bezirksbeirat Weilimdorf
- SPD: Manus McGinley, Ortsverein Weilimdorf
(Parteien in alphabetischer Reihenfolge).
Die Begrüßungsworte sprach Eberhard Grötzinger, Ideengeber und (Mit-)Organisator der Veranstaltung sowie Teil von „WEIL für Demokratie und Zusammenhalt“; er sieht unsere Grundordnung tatsächlich in Gefahr, sie werde schlechtgeredet, egal ob in Parlamenten oder Talkshows. Die Diskussionskultur lasse sehr zu wünschen übrig, es fehle die Bereitschaft zuzuhören. Genau dem solle mit der Veranstaltung entgegengewirkt werden, so Eberhard Grötzinger. Ziel sei es, zumindest etwas klüger als zuvor nach Hause zu gehen!
Im Anschluss daran hieß Sebastian Hoch die Gäste willkommen — er ist in Stuttgart aktiv bei der pro-europäischen Bürger*innenbewegung „Pulse of Europe“ und bescheinigte zunächst der Weilimdorfer Initiative ein tolles Engagement! Genau so, durch respektvollen Austausch, durch Lust auf Information könnten Demokratie und Zusammenhalt auf unserem Kontinent gestärkt werden, betonte Hoch. Auch er blickte zurück auf die Kapitulation Hitler-Deutschlands am 8. Mai 1945, die das millionenfache Leiden und das Menschheitsverbrechen von Dachau bis Auschwitz, die Shoah, beendete. Danach hieß es, Angst, Hass und Zerstörung zu überwinden, etwas Gutes zu errichten: die Bausteine Europas — von der Montanunion, den EWG-Verträgen, dem ersten Europäischen Parlament bis hin zur EU. Und nun seien demnächst rund 350 Millionen Menschen dazu aufgefordert, ein neues Parlament zu bestimmen; in 27 Ländern mit zahllosen Sprachen und Kulturen, aber in Vielfalt vereint durch die Europäische Idee! Die stehe jedoch auf dem Prüfstand, die EU sei unter Druck wie selten zuvor, so Sebastian Hoch. Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bedeute auch einen Angriff auf unsere freie Art zu leben; hinzu kämen die Herausforderungen durch den Klimawandel, durch Künstliche Intelligenz, durch das bedrohliche Erstarken des Extremismus. Sein Appell zum Wahltag am 9. Juni: „Entscheiden wir uns gegen Autokratie und für Freiheit, für Europa und für Demokratie!“
Mit Oliver Hildenbrand starteten dann die Redebeiträge der Politik-Vertreter*innen, an die sich jeweils eine kurze Fragerunde aus dem Publikum anschloss. Der GRÜNEN-Landtagsabgeordnete zollte der Weilimdorfer Initiative ebenfalls Lob und Anerkennung; er beschwor ein handlungsfähiges, auch militärisch starkes Europa und warnte vor einem Rückfall in Nationalismus. Beim Kampf gegen Rechtsextremismus brauche es eine klare Kante und internationale Zusammenarbeit; es gehe darum, in einer vielfältigen Gesellschaft frei und sicher leben zu können. Mit dem sogenannten Green Deal wird Europa laut Oliver Hildenbrand klimaneutral, modern und wettbewerbsfähig gemacht. In punkto sozialer Gerechtigkeit mahnte er, die Menschen müssten sich ihr Leben leisten können, andernfalls schwinde das Vertrauen in den Staat, und der Zusammenhalt der Gesellschaft werde geschwächt. Für ihn persönlich sei Europa die Idee des Gemeinsamen, weil Stärke nur aus Gemeinsamkeit erwachse — oder so formuliert: Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte!
Suzana Lipovac legte einen ersten Rede-Schwerpunkt auf ihre Biografie: Als Tochter bosnischer Kroaten in Stuttgart geboren, gründete sie nach einem Aufenthalt in bosnischen Kriegsgebieten 1992 eine humanitäre Privatinitiative, um Kriegsverletzte und Flüchtlinge zu unterstützen. Was Krieg ist, das wisse sie sehr genau, sagte die CDU-Bezirksbeirätin, und deshalb halte sie eine gemeinsame europäische Verteidigung für dringend geboten; unsere Freiheit müsse vor Angriffen von außen geschützt werden! Suzana Lipovac plädierte für ein ausgeprägteres Europa-Gefühl: Sie würde sich freuen, wenn künftig die Antwort auf die Frage, woher man kommt, so lautet: Ich bin ein Europäer aus Deutschland. Für sie selbst sei Bosnien ihr Vaterland, ihr Heimatland Weilimdorf, und ihr Zukunftsland Europa. Ansonsten hoffe und wünsche sie, dass noch mehr Menschen bei „WEIL für Demokratie und Zusammenhalt“ mitmachen!
Für „Die Linke“ zeigte sich Reinhard Neudorfer streitbar: Jahrzehntelangen Frieden in Europa relativierte er mit dem Hinweis auf den Balkankrieg; Wohlstand klinge angesichts steigender Armut, vor allem bei Kindern, auch nicht immer überzeugend, und Freiheit bleibe ohne soziale Komponente ziemlich abstrakt. Der Mindestlohn in Deutschland sei zwar angehoben worden, könnte aber im EU-Vergleich durchaus höher liegen. Unzählige Lobbyisten agierten in Brüssel zugunsten von Konzernen und verhinderten so einen gerechten und wirksamen Klimaschutz. Seine Partei strebt Reinhard Neudorfer zufolge einen öko-sozialen Wandel durch Umverteilung an; eine Steuergesetzgebung wie in der Schweiz brächte dem deutschen Fiskus Milliarden-Mehreinnahmen — es gebe kein Menschenrecht auf einen Privatjet! Auch in Sachen Geldwäsche-Bekämpfung hinke man hierzulande hinterher.
Aus Sicht von Ralf Böpple, FDP, ist die Demokratie in der EU nicht in dem Ausmaß gefährdet, wie es viele befürchten. So habe der Euro massive Krisen in der Vergangenheit überlebt, und auch der Brexit sei letzten Endes beherrschbar gewesen. Der stellvertretende Weilimdorfer Bezirksbeirat riet auch zu einer gewissen Gelassenheit im Umgang mit Ländern, deren Wahlergebnisse in anderen EU-Staaten nicht unbedingt auf Beifall stießen — so etwas sollte keinen Anlass liefern, einen Ausschluss aus der Union zu erwägen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs warnte auch Ralf Böpple davor, die Sicherheitspolitik zu vernachlässigen. Bei der Antwort auf eine Frage aus dem Publikum nach einem Autobahn-Tempolimit räumte er ein, da nicht mit seiner Partei auf einer Linie zu sein — er allerdings fahre meistens nicht schneller als 130 km/h.
Der letzte Redebeitrag zum Thema Europa war Manus McGinley vom Ortsverein der Weilimdorfer SPD vorbehalten. Ihn prägten nach eigenen Worten die Wurzeln seiner irischen Herkunft und seine Studienzeit in Maastricht, jener niederländischen Stadt, deren Namen mit einem besonderen Dokument im europäischen Einigungsprozess verbunden ist: 1993 trat der Vertrag von Maastricht in Kraft. McGinley merkte kritisch an, dass in der EU zu viel verwaltet werde, anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren; Probleme würden sich so nur noch vergrößern. Im Arbeitsrecht brauche es einheitliche Standards, beispielsweise beim Mindestlohn, und Verteidigungspolitik sei ultrawichtig — hier ging Manus McGinley auf Distanz zu Bundeskanzler Scholz, der bei der Ukraine-Hilfe zu zögerlich sei und damit zu weich gegenüber Putins Russland; um die Ukraine wirksam und dauerhaft zu unterstützen, müsse viel mehr getan werden.
Nach den Reden konnten die Gäste an Stehtischen ins Gespräch mit den Parteien-Vertreter*innen kommen, bevor dann mit einem Gruppenbild und Blumenübergabe durch Eberhard Grötzinger die Veranstaltung im Dietrich-Bonhoeffer-Gemeindezentrum zu Ende ging — nicht ohne den nochmaligen Appell von Sebastian Hoch, am 9. Juni ein demokratisches Europa zu wählen, sowie den Hinweis von Pfarrerin Dorothea Kik, „WEIL für Demokratie und Zusammenhalt“-Buttons mitzunehmen und anzustecken, um der Initiative weitere öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Den endgültigen Schlusspunkt setzte das gemeinsame Singen der Europa-Hymne „Freude schöner Götterfunken“!