(RED) Es waren anfangs nur 98 Stühle in der Aula des Solitude-Gymnasiums aufgestellt, denn es war nicht klar, ob das Angebot einer Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der Demokratieinitiative „WEIL für Demokratie und Zusammenhalt“ mit den Wahlkreiskandidierenden überhaupt Interesse finden würde.
Doch am Ende mussten weitere 100 Stühle rasch herbei geschafft werden – die Aula war mit mehr als 250 Besucher*Innen übervoll besetzt – die inhaltsvolle Diskussion über Zukunftsvorstellungen für Deutschland 2030, Wirtschaft, Sozialpolitik und Migration, moderiert vom Weilimdorfer Jens Leonhäuser von der Ditzinger Kommunikationsagentur „Steilpass“ geriet zum „Leuchtturm der Demokratie“, das Echo der Besucher des Abends war ausschließliches Lob. „Wir können mit Recht sehr stolz sein, dass wir ein Zeichen für funktionierende Demokratie und respektvolles Streiten gesetzt haben“, so das Fazit des Sprecherkreises der Demokratieinitiative im Anschluss an den Abend.
Mehr als zwei Stunden diskutierten Dr. Anna Christmann (MdB, Bündnis90/DIE GRÜNEN), Maximilian Mörseburg, (MdB, CDU), Aynur Karliki (Die Linke), Mark Wieczorrek (FDP) und Dietmar Bulat (SPD) höchst sachlich, ruhig und respektvoll miteinander zu aktuellen Themen aus der Bundespolitik.
Mit einem Eingangssatz konnten die Wahlkreiskandidierenden ihre Sicht von „wie soll Deutschland 2030 aussehen“ dem Publikum mitteilen. Max Mörseburg (CDU) legte den Fokus für die kommenden Jahre auf „ein Land in Frieden, Freiheit und Demokratie, Mitgliedschaft in der NATO, Schutz der Ostgrenzen der EU, Wohlstand, Freiheit und Sicherheit“. Dietmar Bulat (SPD) sieht die Aufgabe darin, sozialdemokratische Werte in den Vordergrund zu stellen, soziale Gerechtigkeit zu schaffen und der Wirtschaft zum Erfolg zu verhelfen, sowie der Gesellschaft Teilhabe am Gemeinwohl und gleiche Chancen zu geben. Auch erhofft er sich eine weltoffene Gesellschaft. Anna Christmann (GRÜNE) sieht die Aufgabe bis 2030 darin, dass Deutschland ein Land in Freiheit bleibt, die Bahn bezahlbar ist bzw. wird, Bildung und Digitalisierung als Schwerpunkt gesetzt werden müssen, eine Deutschland-App für die Ämter komme, der Wohlstand sich festige und mit der Technologie sich bündelt, die Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden und Deutschland eine starke Rolle in der EU wie in der Welt übernimmt – die EU müsse eine „Friedensmacht“ werden. Mark Wieczorrek (FDP) will der Gesellschaft den Glauben an den Aufstieg geben, dass Leistung sich wieder lohne und durch entsprechende Rahmenbedingungen die Wirtschaft „neu entfesselt“ werde. Aynur Karliki (Die Linke) sieht ihre Aufgabe darin, die Demokratie zu stärken, den Frieden zu wahren, eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln mit Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Es sollen keine Milliarden in das Militär fließen sondern in Soziale Bereiche und in Bildung, der Verkehr müsse auf die Schiene umgestellt werden, Löhne und Gehälter gerecht besteuert und verteilt werden: „Wir haben mehr als 200 unnötige Milliardäre im Land, die sollten gerecht besteuert werden!“, so ihre Forderung abschließend.
Umfangreichster Diskussionspunkt war zunächst das Thema „Wie schlecht geht es der Wirtschaft“, bei dem Moderator Leonhäuser zunächst die Runde mit der Tatsache konfrontierte, dass Deutschland letztlich gar nicht so schlecht dastehen würde, wie es „schlecht geredet“ werde: Die Beschäftigung im Land ist auf Rekordniveau, die Arbeitsstunden seit Jahren auf einem Höchststand, die Reallöhne und Sozialleistungen seien zuletzt deutlich gestiegen, der DAX eilt von Rekordhoch zu Rekordhoch und der Strompreis befinde sich für die Wirtschaft wieder auf dem Niveau von 2017, inflationsbereinigt sogar auf dem Niveau von vor 15 Jahren, weltweit steige der Autoabsatz nach dem Corona-Einbruch 2020/21 unaufhaltsam weiter.
Ebenso diskutierten die Wahlkreiskandidierenden rund um das Thema E-Mobilität und die Tatsache, warum Deutschland hier deutlich im Rückstand sei – der Anteil der Elektroautos in Deutschland betrug 2024 gerade mal 13,4 Prozent, während er in Dänemark bereits bei 50,4 Prozent liege und in Norwegen gar schon bei 89,3 Prozent.
Des weiteren gab es einen ausführlichen Austausch zu den Energiekosten sowie das Gebäudeenergiegesetz. Fest hielten alle Kandidaten, dass es eigentlich keine Rückkehr zur Atomkraft geben wird, die Forschung daran aber durchaus weiter gehen könne, insbesondere was die Kernfusion angehe.
Mit den harten Fakten durch Leonhäuser konfrontiert, dass von den 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern in Deutschland im Jahr 2023 man nicht erwarten könne, dass die darin eingerechneten 1,4 Millionen Kinder zum arbeiten gezwungen werden können – ebenso nicht die 1,7 Millionen Schüler, Studenten, Azubis wie pflegende Angehörige und die 0,8 Millionen Teilzeitkräfte und Aufstocker, sondern lediglich von den effektiv im Bürgergeld befindlichen 1,7 Millionen Arbeitslosen ca. 50 Prozent nur zu den „Arbeitsverweigerern“ gehörten, antworteten die Wahlkreiskandidierenden, dass das Bürgergeld mit weiteren Verbesserungen erhalten werden müsse (so Aynur Karliki, Die Linke), das Bürgergeld als Instrument belassen werden muss bzw. nach zwei Jahren Bestand durchaus teils geprüft gehöre (Dietmar Bulat, SPD), das Bürgergeld ein wichtiges Instrument der sozialen Absicherung sei und laut Grundgesetz auch geben muss (Anna Christmann, GRÜNE), es zwar ein soziales Netz brauche, dies aber korrigiert werden muss und Sanktionen verschärft gehören (Mark Wieczorrek, FDP) bzw. das Bürgergeld dennoch abgeschafft gehöre und durch eine anders gestaltete Grundsicherung ersetzt werden muss (Maximilian Mörseburg, CDU).
Beim Themenkomplex „Migration“ führte Moderator Jens Leonhäuser zunächst die Fakten auf: Es gebe in Deutschland aktuell 13,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – vom Baby bis zum Greis. Und wie man die Balance hinbekommene wolle zwischen der dringend notwendigen Einwanderung von Fachkräften und der Verhinderung einer Überforderung der Gesellschaft. Leonhäuser verwies an Hand von Statistiken darauf, dass die aktuelle Anzahl an Asylanträgen weit unter den Spitzenzahlen von 2023, 2016, 2015 wie 1993 und 1992 liege. Hier führte Mörseburg (CDU) an, dass die aktuellen Entwicklungen der letzten Jahre Deutschland in einer Schieflage gebracht hätten, die Ämter-Infrastruktur überlastet worden ist und daher ein weiterer Zuzug wie bisher nicht mehr handelbar sei. Fachkräfte-Einwanderung müsse aber möglich sein. Anna Christmann (GRÜNE) führte an, dass man zwischen humanitärer Migration (Asyl) und Fachkräfte Migration unterscheiden müsse – und das aktuelle GEAS-Abkommen in der EU gerade erst zu wirken beginne. Dietmar Bulat (SPD) merkte an, dass pro Jahr mindestens 400.000 Menschen Jahr für Jahr für den deutschen Arbeitsmarkt aus dem Ausland neu benötigt würden. Selbst Spanien habe – und benötige – eine Zuwanderung von rund 300.000 Menschen pro Jahr. Ohne eine Willkommenskultur würde niemand in Deutschland arbeiten wollen. Dass Asylverfahren deutlich beschleunigt werden müssten, sei unstrittig. Aynur Karliki (Die Linke) merkte an, dass man eher die Fluchtursachen bekämpfen müsse statt die Grenzen abzuriegeln – und sie nicht verstehen könne, dass man in Deutschland nicht mit 600.000 Asylanträgen zurecht komme, der Türkei aber zumute, sechs Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Auch für Mark Wieczorrek (FDP) steht die Arbeitsmigration außer Frage, jedoch bei fehlendem Asylanspruch zum einen die Leistungen drastisch gekürzt und zum anderen diese Menschen konsequent abgeschoben gehören.
Als Abschluss der Podiumsdiskussion gab es für die Besucher*Innen die Möglichkeit, direkt Fragen an die Wahlkreiskandidierenden zu stellen. Hierbei gaben diese Antworten zu Fragen wie man die Wahlkampfversprechen finanzieren wolle, man die Abschiebung von Asylanten durchführen wolle, wenn Papiere fehlten oder die Identifizierung durch diese Personen selbst verhindert werden, wie man das Bafög reformieren, den Frieden in Europa sichern und die Abwanderung deutscher Unternehmen in Billiglohnländer verhindern wolle. Auf die Pläne der LEA für das Gewerbegebiet angesprochen haben die Wahlkreiskandidierenden darauf hingewiesen, dass dies nicht bundespolitisch entschieden werde, sondern durch die Landesregierung. Jedoch müsse man darauf achten, dass Weilimdorf nicht überlastet werde und andere Stadtbezirke „auf Augenhöhe“ ebenso ihren Beitrag bei der Unterbringung zu leisten hätten. Die LEA dürfe für Weilimdorf nicht zum „AD ON“ werden, befanden alle Wahlkreiskandidierenden unisono.
Für die musikalische Umrahmung des Abends sorgte das Jazz-Trio „Villa Jazz“ aus dem Giebel, die Technik-AG des Solitude-Gymnasiums begleitete äußerst professionell mit Licht und Ton diesen außergewöhnlichen Abend.
Ein Stuhl auf der Bühne blieb übrigens leer: Nicht an der Diskussion teilgenommen hat – trotz über Wochen hinweg wiederholter Anfragen der Demokratieinitiative an die Stuttgarter Geschäftsstelle der Partei AfD – ein Vertreter dieser Partei bzw. deren Wahlkreiskandidierender Michael Mayer. Angesichts der Tatsache, dass zuvor im Bezirksbeirat Weilimdorf ein AfD-Parteivertreter zudem gegen die Unterstützung der Podiumsdiskussion aus Budgetmitteln des Gremiums gestimmt hat (weilimdorf.de berichtete), zeigte in den Augen vieler Teilnehmer des Abends offen das Desinteresse an inhaltlich fundierten Diskussionen rund um die Demokratie in den Reihen der AfD.
Die Demokratieinitivative „WEIL für Demokratie und Zusammenhalt“ trifft sich wieder am Montag, 3. Februar 2025 um 19.30 Uhr im Alten Rathaus von Weilimdorf. An dem Abend wird es u.a. um den anstehenden Bürgerhaushalt der Landeshauptstadt gehen, sowie den Einsatz der Initiative für Zukunftsprojekte in Weilimdorf.
Die Redaktion bittet zu berücksichtigen und um Verständnis, dass nicht alle Aussagen der Wahlkreiskandidierenden des Abends hier in diesem Artikel Platz finden bzw. aufgenommen werden können, da der Bericht sonst zu lang wäre. Es gibt ausreichend Möglichkeiten bis zur Bundestagswahl, sich mit den Programminhalten der antretenden Parteien auseinander zu setzen. Der „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für Politische Bildung zur Bundestagswahl 2025 wird ab 6. Februar online HIER (www.bpb.de/themen/wahl-o-mat/) zur Verfügung stehen.