(RED) In einer Zeit, in der Extremismus und Radikalisierung zunehmend in den Fokus rücken, ist es von größter Bedeutung, die zugrunde liegenden Schlüsselfaktoren zu verstehen. Diese Möglichkeit bot die Initiative „Weil für Demokratie & Zusammenhalt“ am 14. Oktober 2024 im Rahmen eines Vortrags an.
Dominik Blacha, Referent der Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg (fexbw.de), erklärte den 25 Besuchern des Abends im Rahmen eines Dialog-Vortrags, wie es zu Radikalisierungen von Menschen kommen kann an Hand einiger Beispiele, mit denen die Fachstelle seit nunmehr rund acht Jahren in ihrer Arbeit konfrontiert wird.
Um Radikalisierungen von Mitmenschen zu erkennen, gilt z.B. zunächst, zwischen unproblematisch und problematischen Verhaltens- und Einstellungsmerkmalen unterscheiden zu können, die auf einem religiös-politisch-ideologischen Wertesystem basieren. Als erstes Beispiel nannte Blacha eingangs das nationalsozialistische Hakenkreuz, das an Schulen in Toilettenanlagen an Wände geschmiert oder gar geritzt wird – ein faschistische Symbol, das in Deutschland bekanntlich verboten ist. Hier sei zu analysieren, was der Grund für diese „bildhafte“ Äußerung eines Mitschülers sei – eine Ideologie oder nur das Erhaschen von Aufmerksamkeit. Die Grenze zu einem problematischen Verhalten und von Einstellungsmerkmalen ist und bleibt in Deutschland das Grundgesetz wie das Strafgesetzbuch: Schulen können sich hier im Zweifel der Deutung an FEX wenden, die Handlungskompetenz von (sozial)pädagogischen Fachkräften, also den Lehrern zu erhöhen, mit dem Problem umzugehen um entsprechend handeln zu können.
Radikalisierung – egal ob „links“ oder „rechts“, hat ein festes Muster, die Entwicklung findet in vier Stufen statt: das vermeintliche Erkennen eines „Missstandes“, der zu einer gefühlten „Ungerechtigkeit“ führt. Diesem Gefühl folgt eine sogenannte „Externale Zuschreibung“, also das Suchen und Auffinden einer vermeintlichen Verursachergruppe – in der Regel handelt es sich hier um Flüchtlinge und Asylanten. Diese „dritte Stufe“ ist mittlerweile in der Gesellschaft weit verbreitet. Die „Endstufe“ der Entwicklung zur Radikalisierung ist die „Entmenschlichung“, die im schlimmsten Falle wie zwischen 1933 und 1945 zu einem millionenfachen mörderischen Judenhass führte.
„Heute ist z.B. ein Missstand die Feststellung, dass Ausländer einem die Arbeit wegnehmen“, so Blacha erläuternd, was viele, die eigentlich überhaupt nicht davon betroffen sind, als Ungerechtigkeit verinnerlichen und in Folge dessen zu Migrationsfeindlichkeit, Stigmatisierung und Ablehnung führt. Antisemitismus führt am Ende jedoch zur Entmenschlichung – dem „worst case Szenario“.
Die Ursache, warum junge Menschen „rechts wählen“ (wie zuletzt bei der Europawahl geschehen) liege darin, dass bei der „Suche nach Lebensfragen“ in Folge der Coronapandemie vor allem Schüler bzw. Jugendliche in den wichtigen Jahren der „Sozialisierung“ bei der Suche nach Antworten der Freundeskreis, das schulische wie kulturelle Umfeld weggefallen seien und die Suche nach Antworten nur über das Internet und die „sozialen Medien“ stattfand. Auch bei der Abgrenzung zu den Erwachsenen fand hier die Abwanderung von Facebook zu überwiegend „TikTok“ statt. Ein Medium, in dem rechtsradikale Posts wie Beiträge dominieren – und Parteien wie die AfD am meisten präsent sind. Bei den Erwachsenen fand eine ähnliche Entwicklung statt – hier brach vor allem für Selbständige und kulturell Tätige das Arbeitsumfeld weg, was letztlich neben Unzufriedenheit, Empörung, einem Versagensgefühl und Verzweiflung u.a. bei vielen Mitmenschen zum „querdenken“ führte. Diese anfangs durchaus nachvollziehbare Bewegung wurde allerdings ebenso rasch von rechten Strömungen mit vielfach subtilen Botschaften wie u.a. „Heimatschutz statt Mundschutz“ gekapert. Die Radikalisierung nahm ihren Lauf, vor allem weil seriöser Journalismus als solcher immer mehr abgelehnt wurde und „einfache Antworten“ in zweifelhaften Kanälen schneller zu finden waren – dem digitalen Algorithmus vieler Plattformen sei Dank.
Einfache Antworten extremistischen Tendenzen entgegenzuwirken konnte Blacha dem Publikum an diesem Abend nicht geben: Individuelles Herangehen an die Problematik bzw. Handlungsmöglichkeit bei einer möglichen bzw. erkennbaren Radikalisierung ist meist der einzige Weg, indem man das Gespräch mit dem Gegenüber sucht und Fragen wie „was macht dich glücklich“, „was erwartest Du vom Leben“, „was macht einen guten Menschen aus“ stellt, aber auch eben bespricht „was einen hemmt“, wo man Hürden sehe, wovor man Angst habe und was Sorgen bereite. Dennoch zeigten sich die Teilnehmer des Abends durchwegs positiv gestärkt, in Zukunft Radikalisierungen bereits besser im Vorfeld erkennen und begegnen zu können.
Die Fachstelle Extremismusdistanzierung (FEX) ist fester Bestandteil des Demokratiezentrums Baden-Württemberg. Sie ist bei der Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit / Streetwork Baden-Württemberg e. V. angesiedelt und entwickelt präventive Ansätze im Feld des politischen und religiös motivierten Extremismus. Diese zielen auf die Stärkung der Handlungsfähigkeit im Umgang mit sich radikalisierenden jungen Menschen und richten sich an (sozial)pädagogische Fachkräfte und ehrenamtlich Tätige aus der Verbandslandschaft.