(RED) Mitten in Weilimdorf leben 60 „Testudines“ – wer in der Schule kein Latein hatte: Schildkröten. Eine Tierart, die mittlerweile seit über 240 Millionen Jahren unsere Erde bevölkert. Christin Kern gründete 2007 ihre „Auffangstation für Landschildkröten“ – und ist mittlerweile in Süddeutschland eine „Institution“, was Pflege und Schulung zur Haltung dieser besonderen Tierart angeht, deren Fortbewegungstempo gedacht nur über der einer Schnecke liegt. Doch genau dabei werden sie extrem unterschätzt: In Sachen Schnelligkeit können die gepanzerten Vierbeiner ziemlich “loslegen”.
Schildkröten haben in den letzten Millionen Jahren Klimakatastrophen, Asteroideneinschläge wie kontinentale Änderungen und Erdbeben als Tierart überlebt. Und obwohl die Schildkröten bei einigen Völkern als heiliges Tier verehrt wurde und wird, sich auf Münzen, Wappen und Flaggen wiederfindet: Der Mensch ist dabei, die Vielfalt der Tierarten auf dem Globus massiv zu gefährden – auch die der Schildkröten, viele Arten gelten als vom Aussterben bedroht. Dies geschieht nicht nur durch das Verringern der Lebensräume oder durch die Umweltverschmutzung – sondern auch durch eine falsche Haltung in heimischen Gärten. Denn eines wird gerne vergessen: Schildkröten können sehr alt werden: Teils mehr als 100 Jahre – und überleben so ihren Gastwirt schnell mal um teils mehrere Jahrzehnte. Weshalb Kern es auch immer wieder mal mit Erben zu tun hat, die mit einer Schildkröte mangels Sach- und Pflegekenntnis hilflos bei ihr anfragen, sich aber gerne an Sie wenden können.
„Die Pflege von diesen wunderbaren Tieren fängt schon damit an, dass sie Bewegungsflächen brauchen, ebenso das Tageslicht. Hinzu kommt die richtige Ernährung und am Ende auch die Pflege durch Tierärzte. Denn Schildkröten können nicht sprechen, Schmerzen und Erkrankungen wie einem Problem mit der Leber äußern sich nicht durch einen gelben Panzer. Man erkennt dies nur durch ein Blutbild“, weiß Christin Kern zu berichten, die von Kindesbeinen an Schildkröten aus Passion pflegt und beobachtet. Hierbei lernte sie viel über die Verhaltens- und Lebensweise dieser faszinierenden Tiere kennen. Zwar hat sie durch ihren Beruf als Kauffrau einige Jahre keine Schildkröten halten können, doch irgendwann kehrte die Sehnsucht und Liebe zu den Tieren zurück – aus wenigen einzelnen Schildkröten wurde schnell eine größere Familie von bis zu 12 Tieren. Nach Anfragen von Tierheimen und Privatpersonen, die mit der Haltung und Pflege überfordert waren, beheimatete Kern zeitweilig auf der für die Tiere bereitstehenden Fläche von rund 500 Quadratmetern bis zu 75 Schildkröten. Derzeit sind es 60 – und mehr werden es auch nicht mehr: „Die Station ist voll, ich kann einfach nicht mehr Tiere betreuen“. Deshalb hat sie sich inzwischen auch mehr auf die Vermittlung von Landschildkröten spezialisiert: Nach eingehenden Beratungen der zukünftigen Halter und Führungen in ihrer Auffangstation werden die Tiere final vermittelt.
Denn die Station wird gemäß Tierschutzgesetz §11 und mit amtstierärztlicher Genehmigung von Kern ehrenamtlich geführt, ist für den Unterhalt auf Spenden und Sachzuwendungen angewiesen, alles geschieht in der Freizeit. Haushalt, Keller und das Gartengelände sind der Haltung und Pflege der Schildkröten untergeordnet. Vor allem der Garten ist nicht alltäglich: In 12 Parzellen bzw. „Gehegen“ finden sich statt grünem Rasen oder Gemüse- wie Blumenbeet unzählige Hügel, Büsche, Verstecke aus Rinde und Steinen, unterschiedlichste Gräser und Blumen wachsen wild durcheinander. Dazwischen finden sich vier Gewächshäuser, 15 Frühbeete (alle mit UV-durchlässigem Dach), die Garage wurde zum „Tropenhaus“. Und so tummeln sich hier nicht nur Griechische Landschildkröten, sondern auch Maurische Landschildkröten, Breitrandschildkröten, Pantherschildkröten, Köhlerschildkröten, Indische Sternschildkröten, afrikanische Spornschildkröten und Russische Landschildkröten.
Kerns „Steckenpferd“ ist nach Jahrzehnten der Erfahungssammlung die Sachkunde rund um die Schildkröten geworden: „Ich biete nicht nur Führungen auf dem Gelände hier für Kindergärten, Schulen, Vereine und Gruppen an, sondern auch Schulungen und Vorträge zu Haltung, Pflege und Ernährung an“. Ebenso bietet Sie Workshops an und vermittelt spezielles Wissen zu Winterstarre und Haltung an. Ihre Vorträge führen Kern durch den gesamten Süden der Republik, auch auf Messen und Börsen ist sie regelmäßig zu finden. Kein Wunder, dass ihr Mail-Newsletter, der mehrfach im Jahr mit Tipps, Hinweisen und Angeboten versendet wird, weit mehr als 700 Abonnenten zählt. Selbst einen regelmäßigen „Schildkrötenstammtisch“ hat sie in Stuttgart in einem Restaurant am Pragsattel inzwischen ins Leben gerufen, zu dem Gäste teils mehr als ein bis zwei Stunden Anfahrt in Kauf nehmen: „Da treffen sich Neulinge, Biologen und erfahrene Halter, den ganzen Abend lang wird thematisiert“.
Führungen durch die Auffangstation bietet Kern nach Anmeldung bzw. immer wieder auch über die VHS Stuttgart in der Zeit zwischen April und September an – während des Sommerhalbjahres sind die Tiere wach und aktiv und sind auf dem Gelände unterwegs. Teils mit einem erstaunlichen Tempo wie eingangs erwähnt: die afrikanische Spornschildkröte kann am Tag mehrere Kilometer zurücklegen. Diese Art ist übrigens bei den Besuchern besonders beliebt: sie sind nicht nur sehr groß und damit „fotogen“, sondern streckt schnell mal sehr neugierig ihren Hals nach oben um zu sehen, wer diesmal gekommen ist.
Das Verrückteste, was Kern bislang erlebt hat, ist eine Hochzeit zwischen den Schildkröten in ihrer Auffangstation: „Das war dem Hochzeitspaar wichtig, gerne habe ich dafür das Gelände zur Verfügung gestellt“, schmunzelt Kern in der Erinnerung schwelgend.
Kern wurde für Ihre Arbeit auch ausgezeichnet. 2015 erhielt sie den „Tierschutzpreis Baden-Württemberg“, 2022 wurde sie für ihre ehrenamtliche Tätigkeit mit der „Silberne Ehrennadel des Land Baden-Württemberg“ geehrt. Weitere Informationen gibt es auch jederzeit auf Ihrer Webseite www.landschildkroeten-stuttgart.de.