„Kann der Euro gerettet werden? Ja, aber nicht auf den Schultern der kleinen Leute!“ Dieser Grundtenor zog sich durch die Informations- und Diskussionsveranstaltung des SPD Ortsvereins Giebel-Bergheim-Hausen zum Thema Euro-Schuldenkrise letzten Montag in der Begegnungsstätte Giebel.
Der Referent, Diplom-Volkswirt Wilhelm Ungeheuer, stellte in einem Rückblick auf den Zeitraum 2007 – 2012 die Entwicklung der Staatsschulden innerhalb der Euro-Staaten dar. So stieg der Anteil der Staatsschulden – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (Wert aller erstellten Güter und Dienstleistungen) von 66 % im Jahre 2007 auf 91 % im Jahre 2012. Der größte Anstieg war durch die Stützungsmaßnahmen der Euro-Staaten für die Banken im Zuge der Finanzkrise verursacht. So belief sich der Staatsschuldenanteil Ende 2010 auf 85 %. Als Beispiel kann hier Irland genannt werden, dessen Verschuldungsgrad von 25 % in 2007 auf 92 % in 2010 anstieg. Einen vergleichbaren Anstieg verzeichneten jedoch nicht nur Euro-Staaten, sondern auch Staaten, wie z.B. Großbritannien. Hier stieg der Verschuldungsgrad von 44 % in 2007 auf 79 % in 2010. Informativ ist auch die Schuldenquote der USA von 107 % im Jahre 2012 (bedingt durch Rüstungsausgaben) und Japan von 240 %.
Drei mögliche Wege zur Rettung des Euro und zum Schuldenabbau wurden aufgezeigt.
Der erste besteht darin, alles einem Selbstlauf der heilenden Kräfte des Marktes zu überlassen. Dieser Weg wurde während der Weltwirtschaftskrise 1929 mehr oder minder beschritten. Der Welthandel nahm von 1929 bis 1933 um zwei Drittel ab. Das Bruttoinlandsprodukt sank um 40 % in Deutschland und den USA. Die Arbeitslosenquote stieg in Deutschland von 10 % 1929 auf 45 % in 1932, in den USA im gleichen Zeitraum von 3 % auf 24 % In Deutschland führte diese wirtschaftliche Entwicklung zum Ende der Weimarer Republik. In den USA wurde durch den demokratischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt der Finanzsektor strenger reguliert und ein wirtschaftliches Aufbauprogramm unter dem Stichwort „New Deal“ begonnen.
Der zweite Weg ist der des Durchwurstelns. Dieser wird von der derzeitigen Bundesregierung beschritten. Er besteht im Aufspannen von „Rettungsschirmen“, billigen Krediten der Europäischen Zentralbank (1.000 Milliarden EURO zu einem Zinssatz von 1 % für drei Jahre) und Sparauflagen an hochverschuldete Länder, die im Ergebnis das wirtschaftliche Wachstum strangulieren, zu Rezession und steigender Arbeitslosigkeit führen.
Der dritte „keynesianische“ Weg geht davon aus, dass mit steigendem Einkommen der Konsumanteil abnimmt und die Sparmöglichkeit zunimmt. Diese Ersparnis gelangt jedoch nicht in Form von Investitionen in den Wirtschaftskreislauf zurück, sondern verbleibt als Nettogeldvermögen im Finanzsektor. So belief sich das Netto-Geldvermögen in Westeuropa im Jahre 2011 auf 26.920 Milliarden Euro – bei einem Schuldenstand von 8.228 Milliarden Euro in den Euroländern – und einem Bruttoinlandsprodukt Westeuropas von 12.480 Milliarden Euro (Quelle: Allianz Global Wealth Report 2012).
Der „keynesianische Weg“ besteht nunmehr darin, dieses „tote Kapital“ produktiv zu machen. Durch die Einführung von Eurobonds – unter bestimmten Voraussetzungen – könne die Unsicherheit bei Investitionen in Euroschuldenländer genommen und die Spekulation von Hedgefonds gegenüber einzelnen Euroländer (z. B. Spanien, Italien, Griechenland und Portugal) verhindert werden.
Als Voraussetzung für die Einführung von Eurobonds nannte Diplom-Volkswirt Wilhelm Ungeheuer:
• Die Steuerbemessungsgrundlage ist in allen EU-Staaten anzugleichen.
• Der Körperschaftssteuersatz sollte mindestens 25 % betragen.
• Die Umsatzsteuersätze sind auf maximal 20 % zu begrenzen.
• Der Steuervollzug ist europaeinheitlich zu regeln.
• Für große Vermögen (bei einem Freibetrag von 1 Million Euro pro Person) ist
eine 1 %ige Steuer pro Jahr zu erheben.
• Die Hälfte hiervon soll direkt dem Haushalt des Europäischen Parlamentes als zusätzliche Einnahme zur Verfügung gestellt werden und in Form einer Marschallhilfe für Wachstumsimpulse in den Euroländern sorgen.
• Die Haushaltsrechte des europäischen Parlamentes und seiner Organe sind weiter auszubauen, mit dem Ziel einer demokratisch legitimierten europäischen Finanzpolitik.
Bezugnehmend auf das von Wolfgang Schäuble während des G20 Treffens der Industrie- und Schwellenländer in Moskau genannte Ziel des Abbaus der deutschen Schuldenquote von 82 % des Bruttoinlandsproduktes in 2012 auf 69 % in 2017 (Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 22.07.2013, Seite 9) wies Wilhelm Ungeheuer darauf hin, dass dies eine Reduzierung von 13 Prozentpunkten in 5 Jahren sei. Dies würde pro Jahr 2,6 Prozentpunkte und somit 69 Milliarden Euro (bei einem Bruttoinlandsprodukt von 2.644 Milliarden Euro in 2012) bedeuten.
Wenn keine Steuer- und Abgabenerhöhungen nach der Bundestagswahl geplant sind, kann dies nur über Leistungskürzungen im sozialen Bereich und weiterer Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur erfolgen.
Letztendlich geht es um die Frage, ob entweder durch die Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen sowie der Einführung von Eurobonds konjunkturelle Impulse mit mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden oder ob durch Spardiktate die Wirtschaft in eine Rezession gestürzt wird, deren Folgen auf den Schultern der kleinen Leute ausgetragen werden.
Foto (privat): Diplom-Volkswirt Wilhelm Ungeheuer (Bildmitte) während der Diskussion mit Gästen der Veranstaltung: „Ist der Euro noch zu retten? – Wege aus der Euro-Schuldenkrise“.